20130813

Rekonstruktionen: Einsatz für das bauliche Erbe

Der Zweite Weltkrieg und beispiellose Nachkriegs-Zerstörungen haben in Deutschland fragmentierte Stadtbilder hinterlassen. Es ist kritischen Architekturkennern wie Wolf Jobst Siedler und Rob Krier zu verdanken, dass Themen wie "kritische Rekonstruktion", "Stadtreparatur" und "Erhalt des historischen Bauerbes" in der Architekturdebatte etabliert werden konnten.

Die Sehnsucht nach der Schönheit der historischen Architektur gab es schon immer. In den letzten Jahren bildete sich in ganz Europa ein breites bürgerliches Fundament, das für den Erhalt historischer Städte eintritt. Die "Reko-Szene" in Deutschland besteht aus einem Kreis interessierter Architekturkenner, die sich theoretisch und praktisch mit der "Renaissance der Städte" auseinandersetzen und die "Rekonstruktion historischer Bauten" unterstützen. Aber Rekonstruktionen sind keine Mindermeinung: 80 % der Bundesbürger befürworten Rekonstruktionen, wie eine repräsentative Umfrage feststellte (s. dazu Baukulturbericht 2018/19).

Einen kurzen Überblick zum Thema bieten z. B. die Artikel von Andreas W. Voigt " Bürger sehnen sich nach der guten alten Stadt" aus der WAS vom 04.04.10 und "Moderne Sehnsucht nach gestern" aus der WAS vom 30.05.10.

Es gab nach dem Weltkrieg drei Rekowellen. Bedeutende Rekonstruktionen und historisierende Nachbauten gab und gibt es vor allem in:

Rekowelle I (nach Kriegsende)
Rekonstruktion der wichtigsten Sakralbauten und vieler Rathäuser und Schlösser (vor allem im Westteil). Altstadtrekos z. B. in Münster, München und Köln. Viele alte Kaufhäuser und Handelshäuser werden, bis auf Ausnahmen (1963 Wiedererrichtung 4711-Haus in Köln, Instandsetzung Dallmayr-Haus in München), nicht wieder aufgebaut. Bedeutende Bauten wie das Albrecht-Dürer-Haus (Nürnberg) und der Römer, die Paulskirche sowie das Goethe-Haus (Frankfurt am Main) wurden wieder aufgebaut.

Rekowelle II (achtziger Jahre, vor der Wiedervereinigung)
- Berlin, Nikolaiviertel (1987,ca. 2.000 Einw., 33 Geschäfte, 22 Restos, 50.000 qm)
- Berlin, Fellnerhaus von Schinkel (1988 kritische Reko in Feilnerstr. 9-10 von Rob Krier)
Dresden, Semperoper (1977-85) und Beginn Wiederaufbau Residenzschloss (ab ca. 1986)
Hildesheim, Knochenhaueramtshaus und Wedekindhaus (1986)
Leibnizhaus in Hannover (1983)
- Frankfurt am Main, Ostzeile Römerberg (1981-1986, Fachwerkbauten u.a. Eckhaus großer Engel, 17. Jh. erste Bank Frankfurts) und Alte Oper (1981)
- Darmstadt, der Alte Pädagog - ehem. Lateinschule (1984) und die Kriegsruine des großen Haus des Theaters  (1986) werden wieder aufgebaut
- Mainz, Haus zum Stein (1981-83)
- Nürnberg, Rathaussaal (Reko 1982-85)
- Freiburg, Deutschordenskommende (Reko 1986 Fassade unter Verwendung Originalteile)

Rekowelle III (nach der Wiedervereinigung)
- Lübeck: Neues Wohnen im Gründungsviertel (39 historisierende Parzellen 2021)
- Anklam: Abriss Plattenbau am Markt und Bau historisierender Bauten seit 2014
- Dresden, Frauenkirche (1994-2005 fertiggestellt), Neumarkt (8 Quartiere mit 100 zu bebauenden Parzellen - davon 60 Leitbauten und rekonstuierende Fassaden, vieles schon fertig gebaut). Orientiert hat sich der Wiederaufbau in Dresden an etwa zehn Leitbauten, die sich an den historischen Grundrissen ausrichteten. Dazu kamen ca. 50 Gebäuden mit an historischen Vorlagen orientierten Leitfassaden. Dazu kam etwa die gleiche Anzahl an weiteren Gebäuden die sich an diesen Vorbildern anpassten. Weitere Rekoprojekte: Kurländer Palais (2007), Luckner-Schloss Reko in Dresden-Altfranken geplant.
- Berlin, Stadtschloss (Rekonstruktion 2013 Grundsteinlegung, Eröffnung 2020. 
Das Humboldt Forum knüpft auch an die Geschichte des Schlosses als Kultur- und Wissenschaftszentrum nach der Revolution von 1918 an. In der Weimarer Republik war das Schloss sogar das meistbesuchte Museum Berlins.Alte Kommandatur (2003), Hotel Adlon (1997).
Weimar die Häuserzeile an der Nordseite des Marktes
- Demmin das Rathaus (1997-98)
- Sterntor in Magdeburg (2017)
- das Bolfrashaus am Markt in Frankfurt (Oder)
das Kernsche Haus in Pirna
- in Wismar das historische Reuterhaus
- in Erfurt das Collegium Maius
- Braunschweig, Schlossfassade (650 Altsteine wurden u.a. wieder verbaut, heute 
haben wie schon in den 1920er und 1930er Jahren die Stadtbibliothek Braunschweig und das Stadtarchiv Braunschweig sowie die Kulturverwaltung und das Kulturinstitut sowie das Schlossmuseum dort ihren Sitz. Zudem ist ein Einkaufscenter heute im Schloss zu finden. Die Rekonstruktion wurde fertiggestellt 2007),         Alte Waage Braunschweig (1994, Spolien verwendet),
- Hildesheim, Umgestülpter Zuckerhut (2010)
- Hannover, Schloss Herrenhausen (Rekonstruktion fertiggestellt 2013).
- Potsdam: Matrosenstation Kongsnæs (ab 2009), Villa Jacobs (2008), Stadtschloss (Rekonstruktion 2010-2014), Palais Barberini (Januar 2017 eröffnet), Randbebauung Alter Markt, Gebäude an der Alten Fahrt (in Bau), Wiederaufbau Alte Post, Yorkstr./Ecke Friedrich-Ebert-Str. (wohl ab 2015), Kellertorwache (2017) Wiederaufbau Turm Garnisonskirche (2020?), weitere Rekonstruktionen lt. Leitbaukonzept sind zu erwarten. 
- Wesel 2011 die Fassade des spätgotisches Rathauses
- Duisburg: Mercatorquartier "Neue Altstadt" (Baubeginn 2017 ?) - hier sind Rekonstuktionen zu erwarten, u.a. Mercatorhaus
KönigswinterSchloss Drachenburg Reko des verfallenen Ensembles ca. 1990-2000
- in Koblenz das Reiterstandbild (1993) am Deutschen Eck und der Weinbrunnen (2013) im Weindorf
- in Bendorf-Sayn das Schloss (2000)
- Markthäuser Mainz (1991)
Kassel das Haus "Marställer Platz 1", 
- Frankfurt am Main, DomRömer-Projekt (2016 Stadthaus (ehem. Lage von 13 Altstadthäusern),  35 Altstadthäuser - davon 15 Nachbauten und 20 Neubauten, 2018 Eröffnung)
- Darmstadt: Schweifgiebelhaus (2013), Ludwigstempel (2023)
- Aschaffenburg: Löwenapotheke (1995)
- das Pellerhaus (bisher Innenhof) in Nürnberg (Vorderhaus evtl. geplant)

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- Für Rekonstruktionen gibt es gute Argumente. Eine gute Übersicht zu Rekonstruktionen bietet der folgende Artikel der Welt: http://www.welt.de/debatte/kommentare/article156134136/Harte-Zeiten-fuer-Anhaenger-moderner-Architektur.html    
- Link zu Städten mit Rekonstruktionen in Europa. Übersichtsartikel Rekonstruktionen. Rekos in Deutschland Liste, Übersicht, Hessen
- Linktipp zu Foren für historische Stadtbildkultur und zu Rekonstruktionen: http://www.stadtbild-deutschland.de Der führende Verein für engagierte Bürger für traditionelle Architektur ist Stadtbild Deutschland e.V. Die Orts- und Regionalverbände von Stadtbild Deutschland sind hier zu finden.
- Eine große Gemeinschaft engagierter Bürger für schöne, lebenswerte Städte bildet die Architekturrebellion. Die einzelnen Gruppen von Architekturrebellion sind hier zu finden. Filme und interessante Hintergründe zur schönen Architektur bietet die internationale Site The Aesthetic City. Eine weitere internationale Organisation die sich für Schönheit in der Architektur einsetzt ist Intbau.

20130812

Wiederaufbauinitiativen und geplante Rekonstruktionen in Deutschland (1.7)

Schöne Bauten in Deutschland
Trotz der apokalyptischen Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges mussten alleine in Berlin etwa 23 % der nach dem Krieg noch vorhandenn Bausubstanz hässlich-modernen Nachkriegs-Bauten weichen. Zudem wurden alleine in Berlin-Kreuzberg 1.400 Bauten nach dem Krieg im Zerstörungswahn "entstuckt". Die "Phalanx" der Architekten sprach sich desweiteren nach dem Krieg weitgehend gegen Rekonstruktionen aus. So sind etwa 66 % der heutigen Architektur in Deutschland erst nach dem Krieg entstanden (vgl. Ricky Burdett "The endless City") - also von einer einzigen Generation geschaffen - ein einmaliger Faktum in der Geschichte. Heute fordern immer mehr Menschen ein Umdenken in der Stadtgestaltung und die Sehnsucht der Bürger nach einer identitätsstiftenden, historisch gewachsenen Architektur ist größer denn je. Der Druck auf die Gestalter der modernen Formensprache hin zu einer menschengerechteren Architektur wächst von Jahr zu Jahr.

Die ersten Zweifel an der modernen Stadtplanung wurden schon in den 60iger Jahren gehegt. In dieser Zeit begann ein unvergleichlicher Abrisswahnsinn in Deutschland. Alles was Alt war sollte weg und dem neuen Zeitgeist Platz machen. Erst die Ölkrise 1973 führte zu einem ersten Umdenken. Einige schon geplante Autoschneisen, mitten durch gewachsene Altstadt- und Gründerzeitquartierte, wurden nicht mehr umgesetzt. Doch die meisten Städte, ob kriegszerstört oder nicht, waren zu dieser Zeit bereits radikal im Sinne der autogerechten, funktionalen Stadt universell hässlich umgestaltet. Heute wird versucht, viele der zuvor gemachten Stadtplanungsfehler wieder zu beseitigen. Es gibt heute kaum noch Vordenker, die den propagierten Stadtmodellen der Charta von Athen mit ihrer funktionalen Stadt nachtrauern. Das revolutionäre Manifest von Athen wurde zur Erfolgsgeschichte und bestimmte, bis in die jüngste Zeit, die Stadtplanung in unseren Städten. Doch nun ist alles im Umbruch. Wir erleben gerade eine aufkommende Transformation der Städte: Sozial und funktional gemischt, menschengerecht und ökologisch sowie digital soll diese sein. Schlimmer noch für die Anhänger der Moderne: Die Menschen sehnen sich nach der guten, alten Stadt. Während die Nachkriegsbauten abgerissen werden, bleiben die altehrwürdigen Bauten aus der Kaiserzeit stehen. Die Quartiere aus der Gründerzeit bieten alles was Menschen glücklich macht: Hier pulsiert das Leben und die hohe Qualität und Beliebtheit der Altbauten zeigt was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Dort wo Kriegswunden zu offensichtlich sind, wird sogar rekonstruiert. Niemand hätte sich nach dem Krieg vorstellen können, dass 70 Jahre später Bauten aus der Zeit des Historismus rekonstruiert werden.

Die moderne Architektur ist in der Krise. Auch die „Errungenschaften“ aus der verkehrsgerechten Stadt mit ihren getrennten Nutzungsebenen werden zunehmend abgebrochen. Riesige Betonungetüme für Fußgängerüberführungen und ausladende Betonauffahrten für die Autoschneisen der Nachkriegszeit werden unter dem Lärm der Presslufthämmer für immer zermalmt. Alle Ideen der verkehrsgerechten, funktionalen Stadt wurden schon vor hundert Jahren mit dem Aufkommen der Moderne propagiert. Die Moderne ist also selber schon in die Jahre gekommen. Doch nun hat die Nachkriegsmoderne in der Stadt ausgedient. Der enorme Zuzug in die Städte führt zu einem gewaltigen Stadtumbau. Locker bebaute Siedlungen mit Vorstadtcharakter mitten im Innenstadtbereich kann sich keine Stadt mehr leisten. Die niedrigen Zeilenbauten mit riesigen Abstandsgrün zu den überdimensionierten Straßenräumen, füllten nach dem Krieg die riesigen Brachflächen der kriegszerstörten Städte. Doch nun ist wieder Dichte gefragt. Auch die funktionale Stadt, bei der Wohnen, Arbeiten und Freizeit in getrennten Stadträumen stattfinden sollten, ist überkommen. Lebendige, ökologisch vernetzte Städte sind nur in funktional gemischten Städten zu erreichen. Im Zeichen der Klimaschutz bedingten Verkehrswende werden immer mehr innerstädtische Autoschneisen zurückgebaut. Auch die funktional getrennten Innenstädte, die immer mehr in eine Krise geraten, werden nun wieder mit einer gemischten Nutzung reaktiviert. 

Doch auch wenn die Modelle der Moderne mehr und mehr ausgedient haben, werden sich die Städte nur langsam verändern. Zu präsent sind die Bauten der Nachkriegszeit. Und noch entsteht unter dem schnelllebigen Renditedruck einiges, was sich nicht großartig von der bisherigen, monotonen Moderne unterscheidet. Immer noch wird gleichförmig gebaut und von sozialer und funktionaler Mischung kann oftmals keine Rede sein. Die wenigen Rekonstruktionsplanungen sind umso wichtiger, denn hier lässt sich symbolhaft die Schönheit der Städte ablesen.

Wiederaufbauinitiativen und Rekonstruktionspläne gibt es u.a. in 
- Berlin (Bauakademie)
- Berlin (Denkmalskirche/Dom)
- Neustrelitz (Schloss, Turm wird wieder aufgebaut)
- Halle (Altes Rathaus)
- Magdeburg (Prämonstratenserberg)
- Hamburg (Synagoge am Bornplatz)
- Dortmund (Altes Rathaus) und Essen (Altes Rathaus)
- Duisburg (neues Stadtquartier mit Reko Mercatorhaus und Ott-Vogel-Haus geplant)
- Frankfurt am Main (Alte Börse, Rathaustürme Langer Franz u. kleiner Cohn, Rothschildpalais, Altes Schauspielhaus)
- Darmstadt (Ludwigstempel), Griesheim (Altes Rathaus).

Darüber hinaus gibt es viele engagierte Architekten und Investoren (Christoph Mäckler/Frankfurt am Main, Ralf Schmitz Immobilien/Düsseldorf) die sich für traditionelle Bauformen einsetzen.

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Bauerbe: Rekonstruktionswünsche in Deutschland * (1.7)

- Marienkirche, Wismar
- Alte Schule, Wismar
- Residenzschloss, Neustrelitz (zumindest Turm wird wohl wieder aufgebaut)
- Schloss, Dargun (Es gibt eine Initiative)
- Denkmalskirche am Dom, Berlin
- Bauakademie, Berlin
- Garnisonskirche, Potsdam
- Schloss Guteborn, Guteborn/Brandenburg (Schloss 1948 gesprengt)
- Schloss, Meuselwitz
- Schloss, Zerbst (Initiative Aufbau der jetzigen Ruine)

- Deutrichs Hof (hier sollen sogar noch Fassadenteile vorhanden sein), Leipzig
- Altes Rathaus, Halle

- St. Nikolai (s. Bild Turm), Hamburg
-Synagoge am Bornplatz, Hamburg
- Kestner-Museum, Hannover (Betonüberbau von 1961, darunter ist noch historische Fassade uvm. von 1889 erhalten)
- Ansgari-Kirche, Bremen
- Kornhaus, Bremen
- Altes Rathaus, Essen
- Altes Rathaus, Dortmund
- Düsselschlösschen, Düsseldorf

- Salzhaus, Frankfurt am Main (originale Fassadenteile sind in städtischen Magazinen eingelagert)
- Mannheim, Altes Kaufhaus am Paradeplatz, der barocke Prachtbau, im 2. Weltkrieg teils zerstört, wurde jahrelang als Rathaus genutzt (1967 Abbruch), 1991 Bau des Stadthauses (soll etvl. abgerissen werden. 

- Pellerhaus Südfassade, Nürnberg
- Toplerhaus, Nürnberg

- Rathaus und Marktplatz, Stuttgart
- Kirchturmspitze Johanneskirche, Stuttgart

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