20130812

Wiederaufbauinitiativen und geplante Rekonstruktionen in Deutschland (1.7)

Schöne Bauten in Deutschland
Trotz der apokalyptischen Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges mussten alleine in Berlin etwa 23 % der nach dem Krieg noch vorhandenn Bausubstanz hässlich-modernen Nachkriegs-Bauten weichen. Zudem wurden alleine in Berlin-Kreuzberg 1.400 Bauten nach dem Krieg im Zerstörungswahn "entstuckt". Die "Phalanx" der Architekten sprach sich desweiteren nach dem Krieg weitgehend gegen Rekonstruktionen aus. So sind etwa 66 % der heutigen Architektur in Deutschland erst nach dem Krieg entstanden (vgl. Ricky Burdett "The endless City") - also von einer einzigen Generation geschaffen - ein einmaliger Faktum in der Geschichte. Heute fordern immer mehr Menschen ein Umdenken in der Stadtgestaltung und die Sehnsucht der Bürger nach einer identitätsstiftenden, historisch gewachsenen Architektur ist größer denn je. Der Druck auf die Gestalter der modernen Formensprache hin zu einer menschengerechteren Architektur wächst von Jahr zu Jahr.

Die ersten Zweifel an der modernen Stadtplanung wurden schon in den 60iger Jahren gehegt. In dieser Zeit begann ein unvergleichlicher Abrisswahnsinn in Deutschland. Alles was Alt war sollte weg und dem neuen Zeitgeist Platz machen. Erst die Ölkrise 1973 führte zu einem ersten Umdenken. Einige schon geplante Autoschneisen, mitten durch gewachsene Altstadt- und Gründerzeitquartierte, wurden nicht mehr umgesetzt. Doch die meisten Städte, ob kriegszerstört oder nicht, waren zu dieser Zeit bereits radikal im Sinne der autogerechten, funktionalen Stadt universell hässlich umgestaltet. Heute wird versucht, viele der zuvor gemachten Stadtplanungsfehler wieder zu beseitigen. Es gibt heute kaum noch Vordenker, die den propagierten Stadtmodellen der Charta von Athen mit ihrer funktionalen Stadt nachtrauern. Das revolutionäre Manifest von Athen wurde zur Erfolgsgeschichte und bestimmte, bis in die jüngste Zeit, die Stadtplanung in unseren Städten. Doch nun ist alles im Umbruch. Wir erleben gerade eine aufkommende Transformation der Städte: Sozial und funktional gemischt, menschengerecht und ökologisch sowie digital soll diese sein. Schlimmer noch für die Anhänger der Moderne: Die Menschen sehnen sich nach der guten, alten Stadt. Während die Nachkriegsbauten abgerissen werden, bleiben die altehrwürdigen Bauten aus der Kaiserzeit stehen. Die Quartiere aus der Gründerzeit bieten alles was Menschen glücklich macht: Hier pulsiert das Leben und die hohe Qualität und Beliebtheit der Altbauten zeigt was Nachhaltigkeit wirklich bedeutet. Dort wo Kriegswunden zu offensichtlich sind, wird sogar rekonstruiert. Niemand hätte sich nach dem Krieg vorstellen können, dass 70 Jahre später Bauten aus der Zeit des Historismus rekonstruiert werden.

Die moderne Architektur ist in der Krise. Auch die „Errungenschaften“ aus der verkehrsgerechten Stadt mit ihren getrennten Nutzungsebenen werden zunehmend abgebrochen. Riesige Betonungetüme für Fußgängerüberführungen und ausladende Betonauffahrten für die Autoschneisen der Nachkriegszeit werden unter dem Lärm der Presslufthämmer für immer zermalmt. Alle Ideen der verkehrsgerechten, funktionalen Stadt wurden schon vor hundert Jahren mit dem Aufkommen der Moderne propagiert. Die Moderne ist also selber schon in die Jahre gekommen. Doch nun hat die Nachkriegsmoderne in der Stadt ausgedient. Der enorme Zuzug in die Städte führt zu einem gewaltigen Stadtumbau. Locker bebaute Siedlungen mit Vorstadtcharakter mitten im Innenstadtbereich kann sich keine Stadt mehr leisten. Die niedrigen Zeilenbauten mit riesigen Abstandsgrün zu den überdimensionierten Straßenräumen, füllten nach dem Krieg die riesigen Brachflächen der kriegszerstörten Städte. Doch nun ist wieder Dichte gefragt. Auch die funktionale Stadt, bei der Wohnen, Arbeiten und Freizeit in getrennten Stadträumen stattfinden sollten, ist überkommen. Lebendige, ökologisch vernetzte Städte sind nur in funktional gemischten Städten zu erreichen. Im Zeichen der Klimaschutz bedingten Verkehrswende werden immer mehr innerstädtische Autoschneisen zurückgebaut. Auch die funktional getrennten Innenstädte, die immer mehr in eine Krise geraten, werden nun wieder mit einer gemischten Nutzung reaktiviert. 

Doch auch wenn die Modelle der Moderne mehr und mehr ausgedient haben, werden sich die Städte nur langsam verändern. Zu präsent sind die Bauten der Nachkriegszeit. Und noch entsteht unter dem schnelllebigen Renditedruck einiges, was sich nicht großartig von der bisherigen, monotonen Moderne unterscheidet. Immer noch wird gleichförmig gebaut und von sozialer und funktionaler Mischung kann oftmals keine Rede sein. Die wenigen Rekonstruktionsplanungen sind umso wichtiger, denn hier lässt sich symbolhaft die Schönheit der Städte ablesen.

Wiederaufbauinitiativen und Rekonstruktionspläne gibt es u.a. in 
- Berlin (Bauakademie)
- Berlin (Denkmalskirche/Dom)
- Neustrelitz (Schloss, Turm wird wieder aufgebaut)
- Halle (Altes Rathaus)
- Magdeburg (Prämonstratenserberg)
- Hamburg (Synagoge am Bornplatz)
- Dortmund (Altes Rathaus) und Essen (Altes Rathaus)
- Duisburg (neues Stadtquartier mit Reko Mercatorhaus und Ott-Vogel-Haus geplant)
- Frankfurt am Main (Alte Börse, Rathaustürme Langer Franz u. kleiner Cohn, Rothschildpalais, Altes Schauspielhaus)
- Darmstadt (Ludwigstempel), Griesheim (Altes Rathaus).

Darüber hinaus gibt es viele engagierte Architekten und Investoren (Christoph Mäckler/Frankfurt am Main, Ralf Schmitz Immobilien/Düsseldorf) die sich für traditionelle Bauformen einsetzen.

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